Die geheimen Botschaften der Liebe | 26.02.2020
„Bin ich lesbisch?“
Die Situation:
Chloe dachte beim Sex an Frauen, wenngleich sie mit Thomas seit einem Vierteljahrhundert glücklich war. Sie hatte Angst, lesbisch zu sein, nachdem sie auf einer Junggesellinnenparty ihrer jüngeren Arbeitskollegin von einer viel älteren Frau verführt wurde. Sollte sie tatsächlich erst mit Ende vierzig ihre wahre sexuelle Identität entdeckt haben? Und war das am Ende ein krankhafter Mutterkomplex, nachdem sie sich besonders an den üppigen Brüsten der um mehr als zehn Jahre älteren Frau wohlgefühlt hatte?
Thomas merkte davon nichts. Die Beziehung schien sogar auf paradoxe Weise von dem geheimen One-Night-Stand im Wellnesshotel zu profitieren. Noch nie zuvor hatten Chloe und Thomas so ausgedehnt, intensiv und leidenschaftlich miteinander geschlafen. Und noch nie hatte Chloe sich so geöffnet und ins Zeug gelegt. (Ihre Fantasie machte es möglich!)
Die Kehrseite der Medaille: Chloe fühlte sich moralisch schuldig und wurde ihre Gewissensbisse nicht los. Die erotischen Fantasien, die sie schon immer gehabt hatte, waren vollkommen unerwartet und auf ganz natürliche Art und Weise – ohne künstliche Inszenierung, schicksalhaft – wahr geworden. Das Phänomen an sich war schon buchstäblich umwerfend.
Doch Knall auf Fall war bei Chloe auf den sexuellen Glücksrausch die gnadenlose Ernüchterung gefolgt: War sie ihrem Partner nicht nur mit einer Frau fremd gegangen? Hatte sie vielleicht ihn und sich selbst ein Liebesleben lang betrogen und getäuscht? Sie fühlte sich in einer Zwickmühle. Als Verräterin. Sollte sie Thomas beinhart mit ihren erotischen Erlebnissen konfrontieren, ihm sagen, dass sie lesbisch war? Oder war die Begegnung mit der mysteriösen Verführerin nur ein aphrodisischer Kick für Chloes eingeschlafenes Sexleben mit Thomas? Und sollte sie das Erlebte geheim halten?
Was meint die Paartherapeutin?
Prof. Dr. Wogrolly: Ganz zentral war hier, im Einzelgespräch mit Chloe zunächst einmal klar Schi zu machen – und zwar bevor Thomas hinzukam und das Ganze in eine Paartherapie münden konnte. Nach dem „Calm down“Prinzip wurde Chloe mit Entspannungsübungen bestmöglich von ihren moralischen Bedenken befreit, indem sie sich bewusst machte: Gedanken sind frei! Und sie schadete weder Thomas noch ihrer Partnerschaft – und schon gar nicht ihrem Sexleben – wenn sie „beim Sex mit ihm insgeheim an Frauen dachte“. Nachdem sie glaubhaft versicherte, Thomas um keinen Preis verlassen und ebenso wenig mit der verführerischen Frau zusammenleben zu wollen, war der Output gefunden: Thomas wurde von Chloe mit einem Modell erweiterter Sexualität konfrontiert, sprich Chloe vertraute ihm ihre Fantasien an, die sie schon immer gehabt, aber nicht mit ihm geteilt hatte. Die einmalige Episode hütete sie als ihr Geheimnis und kam von der Überzeugung ab, lesbisch zu sein.
Sexualität ist – jetzt auch wieder buchstäblich gesagt – keine starre Größe. Und ein bisschen Toleranz gehört dazu. Darum keine vorschnellen Festschreibungen, sondern einfach etwas mehr Selbstvertrauen und Zutrauen in die Liebe.
Haben Sie auch eine Frage zum großen Geheimnis der Liebe an Dr. Monika Wogrolly? Schicken Sie einfach eine Mail an liebe@looklive.at
Prof. Dr. Monika Wogrolly ist Philosophin, Psychotherapeutin, Paartherapeutin und Sexualtherapeutin. Was sie in ihrem Berufsalltag in Klinik und Praxis erfährt, ist Basis ihrer Beratungen, Coachings und Therapien. Zuletzt erschien ihr Buch „Die Beziehungsformel. Endlich glücklich lieben“.