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People | 07.05.2020

"Corona ist ein Warnschuss“

Der deutsche Philosoph Richard David Precht über die Coronakrise – die Folgen, die Chancen und unsere Lernaufgaben.

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VORDENKER: Precht zu Gast in der Talkshow von Markus Lanz (ZDF): „Ich möchte nicht in allen Punkten in die Normalität vor der Krise zurück.“ ©APA Picturedesk

Er bringt Probleme stets auf den Punkt. Star-Philosoph und Bessellerautor Richard David Precht, 55, nahm sich auch jüngst als Gast in Markus Lanz Talkshow beim ZDF kein Blatt vor den Mund. look! bringt die besten Statements des deutschen Denkers zur Coronakrise.

Über den veränderten Alltag

„Am Anfang hat man gesagt, es werden viele Corona-Kinder entstehen. Ich glaube das nicht, ich glaube eher an Corona– Scheidungen. Ich glaube, dass es Paaren, die lange zusammen sind, meistens gut tut, wenn sie nicht von morgens bis abends zu- sammen sind ...“

Über die neue Besinnlichkeit

 „Und da kommt so eine Situation, so ein Leben, so eine einzige Abfolge von Sonntagen... wo so eine Besinnlichkeit eingezogen ist. ... Und in solchen Situationen bekommt man ein Gefühl dafür, dass das normale Leben, das man immer geführt hat, vielleicht gar nicht normal ist ... dieses Schneller, Höher, Weiter. ... Wenn man da drauf guckt und denkt: das wäre ja jetzt auch nicht so schlimm, wenn es anders wäre. ... Das Fenster in Alternativen zu denken, geht auf einmal auf. ... Wenn zum Beispiel Menschen keine Billigkreuzfahrten (die Unmengen an CO2 verursachen) mehr machen können, ... würde uns dann etwas Existenzielles fehlen?“

Über die Lernaufgabe

„Die Menschen werden sich jetzt ihrer Leiblichkeit und ihrer Sterblichkeit bewusst. Man merkt plötzlich, man ist ein biologisches Wesen. ... Jüngere Menschen glauben ja, sie sind näher mit ihren Smartphones verwandt als mit anderen Tieren. ... Als man gehört hat, ein Virus kommt, dachte man zuerst an ein Computervirus, da stürzt das System ab und muss wieder hochgefahren werden. Und das ist bei Menschen eben nicht so einfach mit dem Hochfahren. Wir kapieren, wie sehr wir ein Stück Natur sind. Und dieses Bewusstsein brauchen wir, um auch noch die letzten Bornierten davon zu überzeugen, dass wir alles tun müssen, um unsere Lebensgrundlagen, wie die Ressourcen und das Klima, zu schützen. Wir haben einen Warnschussgekriegt, die Natur sagt uns plötzlich, passt mal auf, ihr steht nicht über der Natur, ihr seid ein Teil der Natur. Und ... ich hoffe, dass wir diese Lernaufgabe ernst nehmen.“

Über Helden & Verlierer der Krise

„Ich möchte nicht in die Normalität vor der Krise in allen Punkten zurück. Ich möchte nicht in die ökonomische Realität des Einzelhandels zurück. Wir haben jetzt die Situation, dass der große Krisengewinner Amazon ist. Wer ist der große Verlierer? Die inhabergeführten kleinen Geschäfte, die vorher schon bedroht waren. ... Wir müssen beim Wiederaufbau überlegen wie wir den kleinen Einzelhändler gegenüber den Online-Giganten viel, viel besser absichern können. ... Ich will auch nicht in eine Normalität zurück, wo Pflegekräfte und Krankenschwestern so lausig bezahlt werden. ... Man kann sie nicht kurz zu Helden erklären, ihnen einen Bonus geben, vom Balkon runterklatschen und nachher ist alles wie vorher. ... Wir müssen neu über unser Gesundheitssystem und über die Bezahlung all der Menschen, die da eine wirklich harte und wertvolle Arbeit leisten, sprechen.“

Über die Chancen

„Im Augenblick sagen viele Politiker, jetzt müssen wir erst mal die Krise meistern und dann gucken wir mal, was wir machen. Wenn wir das so sehen, geht das Fenster (für Alternativen) in dem Moment, wo die Krise zu Ende ist, wieder zu. Dann wird man sagen, wir müssen ganz, ganz viel konsumieren, damit wir das wieder aufholen und dann denkt man nicht mehr über Alternativen nach."