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People | 14.05.2020

Die Macht der Maske

Aus verhaltensbiologischer Sicht ist die Corona-Krise eine spannende Zeit. Expertin & „Science Busters“-Mitglied Elisabeth Oberzaucher im Talk.

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© Ingo Pertramer

Dass die Evolutionsforscherin, die übrigens auch zum Team des erfolgreichen Wissenschaftskabaretts „Science Busters“ gehört, an zahlreichen laufenden Studien mitarbeitet, versteht sich mehr oder weniger von selbst. Was erstaunt, ist die Tatsache, dass sie den Masken bzw. deren Bedeutung besondere Beachtung schenkt. Zudem warnt sie vor fehlenden Perspektiven für die Kultur sowie vor zu langem „Social Distancing“, da die Dauerisolation zu psychischen Schäden führen kann.

look: Welches Verhalten bzw. welche Veränderungen fallen Ihnen derzeit am meisten auf?

Elisabeth Oberzaucher: Dass die Menschen nach den vielen Wochen der Isolation wieder unter die Leute wollen. Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit wirkt belastend, der Druck steigt mit jedem Tag. Selbst diejenigen, die sonst. bevorzugt zuhause bleiben, wie meine Eltern beispielsweise, sehnen sich auf einmal nach einem Besuch im Kaffeehaus ... Und dass bei allen Plänen der Regierung der soziale Faktor ignoriert wird. Der Mensch braucht Berührungen und Körperkontakt mit anderen. Ich denke dabei etwa an all die Alleinlebenden, die nicht einmal ein Haustier haben. Natürlich ist das Ankurbeln der Wirtschaft sehr wichtig, aber psychisch Erkrankte schaden der Wirtschaft auch. Für bedenklich halte ich die Priorisierung. Beim Sport gibt es zumindest einen semikonkreten Plan wie es weitergehen soll, bei der Kultur ist bis heute nichts geschehen.

Die Kultur liegt Ihnen besonders am Herzen?

Ja, tatsächlich, weil Kultur Geistesbildung bedeutet, kritisches Denken und soziales Miteinander. Viele Aspekte sind involviert. Natürlich ist es sinnvoll, dasswir uns bewegen und Sport betreiben, aber für mich hat Kultur eine wesentlich höhere Priorität.

Lassen Sie uns noch einmal kurz zu persönlichen Kontakten zurückkehren. Skypen z. B. ist doch zumindest vorübergehend eine akzeptable Alternative ... ?

Es gibt viele Möglichkeiten, die auch in Anspruch genommen werden – wie etwa gemeinsam einen Film zu streamen, sich daneben im Chat auszutauschen oder online ein Brettspiel zu spielen. Es hilft, aber den persönlichen Kontakt ersetzt es nicht. Gefragt ist jetzt auch, selbst aktiv zu werden.

Inwiefern?

Sich etwa mit Menschen aus unserem Umfeld, die alleine wohnen, niemanden zum Reden haben, sich aber dennoch nicht von selbst melden, gezielt in Ver- bindung zu setzen und sie zu fragen, ob sie etwas brauchen, wie‘s ihnen geht.

Sie arbeiten derzeit an vielen Studi- en im Zusammenhang mit der Coro- nakrise. Welche sind das konkret?

Ein Experiment, bei dem ich beteiligt bin, behandelt das Konsumverhalten und wie bzw. ob sich diese Beschränkungen auch im Konsumverhaltenauswirken. Die Befürchtungen kleinerer Boutiquen-Besitzer, dass weniger Kundschaft kommt, haben sich ja leider schon bestätigt. Eine weitere Studie widmet sich dem Essverhalten. Erkenntnisse aus der Vergangenheit belegen, sobald Ressourcen knapp sind, essen die Menschen mehr und nehmen zu, um eben dieser Verknappung entgegenzuwirken. Und das kann irgendeine Ressource sein. Sogar der Klopapier-Ausverkauf kann bewirken, dass mehr gegessen wird. (Lacht)

Aus Angst?

Nein, weil Toilettenpapier stellvertretend dafür steht, dass Dinge knapp werden. Und wenn dem so ist, muss ich mir sozusagen einen Reservespeck anfuttern.

Welche Studien werden noch erstellt?

Wie lange die nun induzierten Verhaltensänderungen wie etwa die Hygiene und das Distanzverhalten aufrecht bleiben, nachdem die Bestimmungen gelockert werden.

"Studien aus der Vergangenheit belegen, sobald Ressourcen knapp sind, essen die Menschen mehr und nehmen zu."

 

Verhalten sich Frauen eigentlich in Zeiten wie diesen anders als Männer?

In der Marienthal-Studie aus den 1930er Jahren (ein Klassiker der Sozialwissenschaften; Anm.), bei der ein ganzer Ort nach Schließung einer Fabrik plötzlich arbeitslos wurde, stellte man fest, dass Frauen mit der Langzeitarbeitslosigkeit besser zurechtkamen, weil sie sich u. a. mit Hausarbeit beschäftigten, Männer hingegen reagierten mit passiver Resignation ... . Um die jetzige Situation zu analysieren bzw. auszuwerten, ist es noch zu früh.

Was wünschen Sie sich denn für die Zeit nach Corona?

Dass die Menschen, sobald eine Impfung angeboten wird, diese auch in Anspruch nehmen und dass vielleicht auch ein bisschen ein Umdenken stattfindet in Hinsicht auf gegenseitige Rücksichtnahme. Darum halte ich den Mund-Nasen-Schutz für eine sehr spannende Sache, weil wir ja diesen nicht für uns tragen, sondern um andere vor einer möglichen Übertragung des Virus zu schützen.

Warum ist das so interessant?

Weil es zum ersten Mal freiwillig passiert, dass wir zum Wohl von anderen eine Maske verwenden. Das würde ich mir sehr wünschen: Ein Weg vom Ich bzw. ein Hin zum Wir, mehr Gemeinschaftsdenken und weniger Egozentrik. Bei der Influenza-Impfung, die ja nicht nur einen selbst, sondern vor allem auch andere vor Ansteckung schützen soll, wurde das nie wirklich wahrgenommen. Die Durchimpfungsrate bei der normalen Grippe beträgt ja nur rund acht Prozent.

Hat auch der Humor aktuell einen besonderen Stellenwert?

Absolut. Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage, in einem Kulturkreis zu leben, in dem der schwarze Humor sehr beheimatet ist. Sobald manetwas ins Lächerliche ziehen kann, werden aufgestaute Emotionen durch das Lachen etwas neutralisiert, das macht es leichter, mit kritischen Situationen umzugehen.

Sie waren auch Gender-Professorin an der Uni Ulm. Gendern ist derzeit auch kein Thema ...

Umso mehr müssen wir darauf achten, nicht alles zu verlieren, was wir erreicht haben, weil dieser krisenbedingte Rückzug ins Biedermeier der Gleichstellung gar nicht gut tut. – Sie sehen, die Verhaltensforschung ist ein sehr weites Feld. Was wir jetzt erleben, ist einzigartig, weil es die ganze Welt betrifft.