People | 22.07.2021
Ein Hauch von New York in Mörbisch
COULD IT BE? YES IT COULD!
Die erste Zeile des Liedes "Something's Coming" aus dem Musical West Side Story könnte passender nicht sein, hat doch das Bernstein-Werk mit seiner Premiere bei den Mörbischer Seefestspielen am 08. Juli eine neue Ära im Operetten El Dorado eingeläutet. Die Wienerin Valerie Luksch glänzt in der Titelrolle und verleiht ihrer Maria stimmlich und schauspielerisch einen Zauber, auf den Leonard Bernstein sicherlich stolz wäre. Mit Paul Schweinester als authentischer Tony an ihrer Seite schafft die Cast stimmlich und gesanglich eine West Side Story, die alle Erwartungen erfüllt. Insbesondere die tänzerische Leistung beeindruckt vor dem Hintergrund einer enormen Kulisse, welche das Flair des New York City der 50er Jahre passend widerspiegelt und choreografisch perfekt ausfüllt. Alfons Haider, der seit Anfang des Jahres in der Position des Generalintendanten tätig ist, fühlt sich jeden Abend aufs Neue von der gesanglichen Leistung der Cast berührt. Auch von der sportlichen Leistung zeigt er sich beeindruckt: "Wenn man bedenkt, welche Distanzen diese TänzerInnen hier jeden Abend zurücklegen – das ist gigantisch. Diese Bühne hat 3600m2. Ich bin schon müde, wenn ich drei Mal außen herum gehen muss,“ lacht Haider,
Den großen Komponisten Leonard Bernstein kannte Haider persönlich. Er erinnert sich lebhaft an einen Abend, an dem sie miteinander über die West Side Story gesprochen hat. "Bernstein sagte zu mir: 'du wärst ein perfekter Tony'. Ich habe verneint, sagte ihm ich wäre nur Interpret. Er hat gesagt 'Tony wird mit dem Herzen gesungen'. Das hat mich berührt." Genau diesem Anspruch Bernsteins wird die aktuelle Besetzung in Mörbisch gerecht: "Beide unsere Tonys, Paul Schweinester und Mark Roy Luykx, singen diese Rolle auch wirklich mit dem Herzen. Und Bernstein hat mit dem Herzen komponiert."
Zum Premierenerfolg kann sich jedenfalls sehen lassen, so der erfahrene Intendant und Musicaldarsteller: "Musical ist in Mörbisch endgültig angekommen." Dass ein Musical im "Mekka der Operettenwelt" so viel Zuspruch erfährt, ist auch auf den Stil des Sechzigerjahre-Werkes zurückzuführen, das die Grenzen zwischen den beiden Genres etwas verschwimmen lässt. Die Handlung ist dabei eher schwere Kost. "Die West Side Story ist keineswegs ein liebliches Stück, es ist zum Teil auch ein hartes Rockmusical. Dass das bei unserem Publikum so gut ankommt, ist ein Geschenk - für Bernstein und für mich als Intendant - und hat mich in dem Vorhaben, weiterhin Musicals in Mörbisch zu machen, zu 100% bestärkt."
Die Operette vollständig von den Festspielen zu vertreiben ist aber keineswegs des Ziel - ganz im Gegenteil. So sollen Operetteninszenierungen im Rahmen des Jennersdorfer Sommerfestivals auf Schloss Tabor, auf welcher in der heurigen Saison bereits "Die lustige Witwe" inszeniert wurde und für welche Haider ebenfalls als Generalintendant zuständig ist, bei entsprechender Nachfrage ausgebaut und gefördert werden. Das Publikum, so ist sich Haider sicher, wird aber von den geplanten Musicalinszenierungen in Mörbisch ebenso begeistert sein. Wie auch die West Side Story vereint nämlich auch das für 2022 geplante Stück "The King and I" die schönsten Elemente beider Genres in sich; stilistisch höre man beispielsweise zu Werken von Lehar kaum Unterschiede, es sei eine "moderne Operette". Maßgeblich für die Entscheidung, das Stück West Side Story nach Mörbisch zu holen, waren auch die Zukunftsvisionen der Veranstalter. Es müsse auch an die Zukunft und an das junge Publikum gedacht werden: "Es ist nicht gut, jahrzehntelang nichts zu verändern." Bereits in den ersten Abenden wurde ersichtlich, wie viel Jugend durch das Genre Musical angezogen werden konnte. "Mörbisch ist kein Altar, sondern eine Bühne, die alles spielen kann." Dankbar ist er dabei auch seinem Kollegen, dem künstlerischen Leiter Peter Edelmann, welcher als erklärter Operettenprofi trotz allem der West Side Story die Tore geöffnet hat.
VISIONEN
Seit seinem Amtsantritt Anfang des Jahres ist Alfons Haider nun maßgeblich für die zukunftsweisende Entwicklung der Festspiele und die Umsetzung entsprechender Visionen zuständig. Dennoch stellt sich an dieser Stelle - pandemiebedingt - unweigerlich die Frage: wie plant man einen Festspielsommer, von dem man nicht weiß, ob er stattfinden kann? Mit Risikobereitschaft. "Wir haben uns vollständig in die Planung und in die Bewerbung gestürzt. Der Umstand, dass ich neu dabei war, hat das Ganze auf jeden Fall positiv beeinflusst. Da haben wir sehr großes Interesse bemerkt, und haben das entsprechend bedient. Wir sind in den Werbefeldzug gegangen, als ob nichts wäre. Anders hätte es nicht funktioniert." Eine Absage wäre wirtschaftlich katastrophal gewesen. "Es war riskant, aber es hat funktioniert."
Dass ihm die Position des Generalintendanten zugesprochen wurde, ist für Haider "kein Zufall". Zu groß ist seine professionelle und emotionale Verbindung zu diesem Ort. Bereits mit 17 Jahren stand er hier als Statist auf der Bühne. Eine besonders emotionale Erinnerung: just am Tag des Begräbnisses seines Vaters hatte der junge Alfons seinen ersten Auftritt und sprang am Premierenabend für einen Kollegen ein. In Mörbisch war man von seiner Hingabe so beeindruckt, dass ihm für die Spielzeit darauf eine kleine Sprechrolle versprochen wurde. Seine Reaktion auf das Angebot: "Bitte seien Sie mir nicht böse, aber wenn ich wiederkomme, möchte ich in der ersten Reihe stehen." Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben. "Mörbisch hatte immer schon eine ungeheure Anziehungskraft auf mich. Und als ich letzten Dezember dann dort gestanden bin, hat mich das sehr geflasht. Es gibt keine Zufälle. Es muss einen Grund haben, warum mich dieser Platz immer magisch angezogen hat. Das ist eine der wichtigsten und größten Aufgaben meines Lebens."
Zu seinen Aufgaben zählt Haider auch die Förderung des Nachwuchses in der Operette und im Musical. Im Rahmen der Inszenierung von "Die lustige Witwe" auf Schluss Tabor ist ihm das besonders gut gelungen. "Die ursprünglichen SolistInnen sind pandemiebedingt abgesprungen. Diese Rollen habe ich sehr jung nachbesetzt. Ich fühlte mich erinnert an einen Theatermoment vor 10 Jahren - damals saß ich in einer Aufführung der lustigen Witwe, und hinter mir sagt ein Mädchen zu ihrer Oma 'Das ist aber die Oma von der lustigen Witwe, oder?' Die Kollegin damals war weit über 60, obwohl es um eine junge Witwe geht. Jetzt haben wir die 28-jährige, bildhübsche Sopranistin Svenja Isabella Kallweit. So jung zu besetzten, setzt ein Zeichen. Das ist auch meine Aufgabe, dass ich in burgenländischen Kultur ein bisschen mehr Leben und Schwung hineinbringe. Schlussendlich sind beide Festspielorte für sich magisch und ein Erlebnis für jeden, der Fantasie hat, und etwas bewegen möchte."
Ob mit "West Side Story" in Mörbisch oder mit "Die lustige Witwe" in Jennersdorf: das Gefühl und die Hingabe vom Intendanten bis zum Ensemble ist spürbar - und kommt direkt beim Publikum an.