People | 07.03.2023
Fight for our Bodies
look!: Schön sein müssen wir – aber bitte nicht zu schön! Die richtige Formel gibt es nicht. Wie gehen wir mit diesem Druck um und wer hat ihn uns auferlegt?
Elisabeth Lechner: Im Patriarchat gibt es gerade für Frauen keine richtige Art, „schön“ zu sein. Es ist einfach immer was falsch – also zu viel, zu groß, zu haarig, zu klein. Und wenn es am Aussehen gerade nichts mehr auszusetzen gibt, dann stimmt wahrscheinlich mit der Stimme etwas nicht. Irgendwas ist also immer und die Schuld trägt die Schönheitsindustrie.
Sie hat großes Interesse daran, immer neue Makel und Problemzonen zu kreieren, um – genau mit diesem Gefühl, nicht zu genügen – uns die neusten Produkte zu verkaufen. Ein kapitalistisches System hat als einziges Interesse, Profite zu generieren, und der größte Profit-Generator ist unsere Unsicherheit.
Sind wir alle gleich betroffen? Oder gibt es Unterschiede?
Den geringsten Schönheitsdruck haben weiße Männer ohne Behinderung. Der durchschnittliche Mann wird primär für seine Leistungen gesehen und nicht auf sein Aussehen reduziert. Das Patriarchat hat ein großes Interesse daran, mit Schönheitsdruck Kontrolle über Frauen auszuüben und sie dadurch daran zu hindern, ihr volles Potenzial zu entfalten, ganz unabhängig davon, wie ihre Körper aussehen. In unserer „lookistischen“, also vom Aussehen besessenen Gesellschaft wird nämlich genau über diesen Schönheitsdruck und all die von uns erwartete Schönheitsarbeit verhindert, dass sich Frauen zusammentun und statt Rasieren, Schminken und Co. dem „Systemsturz“ zuwenden.
Schönheitsarbeit ist aufwendig und teuer. Wieso betreiben wir sie überhaupt?
Weil sie einen Unterschied macht – das belegen Studien! „Schöne“ Menschen haben in allen Lebensbereichen Vorteile, während all jene, die als hässlich oder gar eklig gelten, diskriminiert und sogar oft Opfer von Gewalt werden. Dabei könnten wir unsere Zeit so viel besser nutzen, als andere zu beurteilen und uns selbst zu optimieren! Führt euch vor Augen, wie viel Zeit, Ressourcen und Energie wir für Schönheitsarbeit aufwenden – also für das Aufrechterhalten eines gepflegten Äußeren, um überhaupt als gesellschaftsfähig zu gelten. Wenn wir all diese Energie, die ganze Zeit und das ganze Geld in das „Sich-Zusammentun“ und Überlegen, wie eine bessere, eine andere Gesellschaft aussehen könnte, investieren würden, würde alles gleich ganz anders, und ich glaube, besser aussehen.
Die Schönheitsindustrie erfindet Problemzonen und daraus wird Kapital geschlagen. Wenn ich mir viel Geld und Sorgen sparen will, mache ich da nicht mit und werde zur Aussteigerin, das ist aber gar ich so einfach, oder?
Ja, genau. Viele Frauen spüren, dass ein großer Druck auf ihnen lastet. Sie wissen auch, dass Schönheit, so wie sie in den Medien dargestellt wird, ganz oft unerreichbar ist. Ihnen ist bewusst, dass da ein Geschäftsmodell dahintersteht. Sie verstehen, dass sie viel mehr sind als ihre Körper. Wir wissen das alles und trotzdem fällt es uns schwer, einen freien Zugang zur eigenen Körperlichkeit und zum eigenen Aussehen zu finden. Der Grund dafür ist, dass wir in einer „lookistischen“ Gesellschaft leben. Das belegen zig empirische Studien. Sei es am Arbeitsmarkt, beim Dating, oder in der Gesundheitsversorgung. Schüler*innen, die als schön gelten, bekommen schon in der Schule die besseren Noten. Menschen vor Gericht, die als schön gelten, bekommen gelindere Strafen. Diesen Beauty-Bias gibt es.
Wie diskriminierend ist Lookismus?
Jene Menschen, die als „anders“, „hässlich“ oder gar „eklig“ gelten, die dauernd auf ihr Aussehen reduziert und damit zu wandelnden Objekten werden, haben Nachteile in allen Lebensbereichen und sind im schlimmsten Fall sogar von psychischer oder physischer Gewalt betroffen. Die Frauenmorde in Österreich brauche ich gar nicht aufzählen. In Deutschland wurde letztes Jahr der Transmann Malte C. ermordet. Queerfeindlichkeit führt manchmal sogar zum Tod. Rassismus genauso. Dazu gibt es auch eine Studie aus Australien. In einem Experiment hat man Student*innen angewiesen, sich während eines Uni-Semesters alle Körperhaare wachsen zu lassen und zu dokumentieren, wie es ihnen damit geht. Jene Student*innen, die ohnehin schon in einer marginalisierten gesellschaftlichen Position waren, also zum Beispiel lesbisch, BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) oder armutsbetroffen, haben sich sehr viel schwerer damit getan als zum Beispiel junge, dünne, normschöne, weiße Frauen. Der Grund: Diejenigen, die wussten, dass sie von dieser Normschönheit ohnehin schon abweichen, hatten Angst, sich durch das Experiment noch mehr zur Zielscheibe zu machen. Von Armut betroffenen Schwarzen Frauen hat ihr Umfeld sogar geraten: „Bitte mach das nicht, du bringst dich in Gefahr.“ So gefährlich ist es, von der Norm abzuweichen.
Wie erkenne ich diesen Beauty-Bias – womöglich auch in mir selbst?
Es gibt vieles, was man persönlich dagegen tun kann. Aber Achtung: Jene ohnehin schon marginalisierten Personen setzen sich einem viel größeren Stress, einer größeren Gefahr, aus, wenn sie zu Aussteiger*innen werden und nicht mehr versuchen, dem Schönheitsideal zu entsprechen. Es ist sehr wichtig, dass uns das bewusst ist, bevor wir von anderen erwarten, dass sie handeln oder „für sich selbst einstehen“. Wenn Madonnas Tochter Lourdes sich die Achselhaare wachsen lässt, ist das cool und edgy und wird zum Trend. Lourdes ist dann eine „coole, junge Feministin“. Aber wenn das eine Schwarze Frau macht, eine alleinerziehende Mutter etwa, gilt das Gleiche als ungepflegt. Sichtbarkeit bringt nicht allen dasselbe. Frauen sind dann im öffentlichen Raum sichtbar, wenn sie jung, dünn, weiß und falten- sowie haarfrei sind. Das heißt, wenn man mit ihren Körpern Produkte und Dienstleistungen verkaufen kann. Und das am besten mit sexy Dekolleté und nacktem Bein. Aber sobald Frauen für mehr gesehen werden wollen als ihre Körper, sie ihre Körper und ihre Sexualität selbst bestimmen wollen, steht gleich viel mehr gegen sie. Als Beispiel braucht man sich nur ansehen, was die – wirklich coole – neuseeländische Politikerin Jacinda Ardern sich anhören musste, obwohl sie wirklich sehr wenig Angriffsfläche geboten hat. Geschweige denn die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, von der letztes Jahr ein Video beim Tanzen öffentlich gemacht wurde. Das ist absurd.
Und wie werde ich zur Aussteigerin?
Indem ich reflektiere, was meine eigene Position ist, und gut überlege, was ich mir leisten kann wegzulassen. Und das auch tue! Setzt die „Beautywork-Brille“ auf und überlegt: Was kostet mich all diese Schönheitsarbeit, die ich mache? Menschen geben laut einer Studie aus dem Jahr 2008 in ihrem Leben rund 10.000 Dollar für Rasierprodukte aus. Wahnsinn, oder?
Erzähl uns von deinen „fünf Schritten“ zur Schönheitsrevolution!
Gerne! Zuerst kann ich mich informieren. Ich kann versuchen, den Betroffenen zuzuhören und reflektieren, wie Schönheitskonstrukte in der Gesellschaft funktionieren. Ich kann Medien kompetent nutzen, also nicht immer denselben Influencer*innen folgen, die mir ein schlechtes Gefühl vermitteln, dafür den Aktivist*innen, die mir zeigen, wie ein Leben abseits von Normschönheit aussehen kann. Ich kann mein Umfeld und mein eigenes Handeln reflektieren. Und am allerwichtigsten: Ich kann mich mit anderen zusammentun und gemeinsam aktiv werden.
Hast du einen Rat an unsere Leser*innen?
Auf individueller Ebene kann man Probleme im System nicht zur Gänze lösen. Deswegen muss man sich mit anderen zusammentun und gemeinsam aktiv werden. Das kann heißen Boykott von sinnlosen Produkten, das kann heißen Protestaktionen! Wenn ich in einem Raum voller junger Frauen sitze, die normschön sind und alle sagen, sie hassen ihren Körper, ist das klar ein systematisches Problem. Man muss aussprechen: „Du bist nicht das Problem, dein Körper ist nicht das Problem. Das System ist das Problem.“ Beende den Hass gegen deinen Körper und wandle ihn um in „Systemgrant“. Wenn Frauen sich dauernd für ihren Körper schämen und beginnen, ihn zu hassen, verlieren sie den Zugang zur Welt. Sie können Bewegung und Sexualität nicht genießen, ziehen sich aus der Welt zurück, werden aus Wissenschaft, Politik und der Wirtschaft gedrängt. Das dürfen wir nicht länger zulassen!