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People | 07.11.2022

Männer machen Krebs zum Thema

„Männer, check your balls!“, so der eindringliche Aufruf eines der 12 Betroffenen, die im Buch „Mutmacher. Den Krebs mutig zum Thema machen“ mit dem Autor Thomas Raab ihre Schicksalsgeschichte teilten.

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„MUTIGES“ SHOOTING. Für die ausdrucksstarken Bilder kamen die zwölf Mutmacher in der „D-Bar“ des Ritz-Carlton zusammen. © Sabine Hauswirth

Männer mit der Diagnose Krebs sprechen – anders als ihre weiblichen Leidens­genossinnen – nicht so laut, schonungslos und offen über ihre Diagnose“, erklärt Krebshilfe Geschäftsführerin Martina Löwe. „Und gerade, wenn die Krebserkrankung die intimste Körperregion des Mannes be­trifft, ist häufig Schweigen angesagt. Auch beim Gegenüber.“ Mit dem Buch Mut­macher. Den Krebs mutig zum Thema machen möchte die Österreichische Krebshilfe gemeinsam mit der Österrei­chischen Gesellschaft für Urologie dieses Schweigen brechen. Dabei bekommen sie mit Bestseller ­Autor Thomas Raab und Foto-Künstlerin Sabine Hauswirth hochkarätige Unterstützung.

Die Geschichten der zwölf Mutmacher könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch haben sie viel gemeinsam: Die urolo­gische Krebserkrankung riss sie aus ihrem Leben, stellte alles auf den Kopf. Für das Buch erzählten sie Thomas Raab offen von ihrem Weg. „Für mich hat sich das Vorurteil, wir Männer wären sprachtech­nisch zähe Brocken, mit diesen beeindru­ckenden Gesprächen in Luft aufgelöst“, schildert Raab seine Erfahrungen. „Ich hatte die große Ehre, nicht nur Menschen begegnen zu dürfen, die mir ansonsten entgangen wären, sondern durch diese Menschen auch beschenkt zu werden.“„Diese Kämpfer und ihre schonungs­lose Offenheit haben mich sehr berührt“, zeigt sich auch Sabine Hauswirth, die die Männer vor die Linse holte, bewegt.

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EINSATZ. Thomas Raab, Martina Löwe und Sabine Hauswirth (r.) schaffen mit dem Mutmacher-Buch mehr Bewusstsein für das Thema „Urologische Krebserkrankung“. echomedia Buchverlag, 128 Seiten, € 24,90.

Die Geschichten unserer 12 Mutmacher:

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Robert, 44

... lacht. Viel. Ansteckend. Verbreitet Leichtigkeit. Zeigt auf dem Foto zwar sein zweites Ich, den Businessman, das erste aber beschreibt er so: „Ich bin ein Kasperl, der im Körper eines Controllers steckt!“ In seiner Gegenwart verliert das Schwere an Gewicht. Gibt es keine Tabus. Nur die spürbare Lebensfreude. „Ich habe ja auch nichts falsch gemacht. Eben Krebs bekommen. Jeder, der mich fragt, dem sag ich’s! Und auch jedem, der mich nicht fragt.
Robert ist ein offenes Buch und das Hörbuch zugleich. Erzählt. Alles. Eindringlich, mitreißend, humorvoll. Und erzählt er von dem Verlust seines zweiten Hodens, ein Jahr nach dem des ersten, ist da keine Tragik, sondern er beginnt zu lachen, schildert, wie ihm die Frage gestellt wurde: „Welche Größe hätten S’ denn gern?“ Gemeint war die Größe der Hoden-Prothesen, denn ohne Eier herumlaufen wollte er nicht. In der Sauna niemanden schrecken, sich „normal“ fühlen. [...] Diesen Rat gibt er Männern mit der Diagnose Krebs:„Da fange ich etwas vorher an: Männer, check your balls! Ich war schockiert, wie viele Bekannte und Freunde die Frage gestellt haben: ‚Wie hast du das bemerkt?‘ Wenn es die Diagnose gibt: Vorbereitungen treffen – sprich im Volksmund: Sperma einfrieren (Kryokonservierung). Bei mir z. B. war es so, dass der erstbetroffene Hoden offenbar der aktivere war, und auch wenn die Erwartung bestand, dass der verbleibende Hoden sowohl die Hormonproduktion als auch die Spermaproduktion in ausreichendem Maße übernimmt – es war nicht so. Meine Testosteronwerte waren im Keller und ich war unglaublich antriebslos. Bei den Untersuchungen dazu wurde übrigens das Rezidiv entdeckt.

© Sabine Hauswirth

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Peter, 43

... fasziniert. Durchtrainiert, Läufer, zielstrebig, macht kurzen Prozess. Wie ein Adler hoch in den Lüften, alles im Auge, und gibt es ein Problem, dann Sturzflug darauf zu. Krebs spielt für ihn keine Rolle mehr. 2010 passiert. 2022 längst Geschichte. „Und genau dieser Umstand ist das Beste, was mir passieren konnte!“ Vorbei und weiter. 32 Jahre war er damals alt, zwei Jobs gleichzeitig, höchst erfolgreich, das Gefühl der Unverwundbarkeit, der Checker. Wenig schlafen, viel vom Leben. Und dann ein Hoden größer. Schnell ginge das. Plötzlich war es da. Das Schlimmste daran: „Hoden hart wie Stein“ zu googeln. Der Befund des Urologen eindeutig. Sofort ins Spital. Hodenkrebs strahlt ungemein schnell. Bei Peter war aber noch kein Organ betroffen. Er ruft umgehend in der Arbeit an: „Ich habe Krebs und weiß nicht, wann ich wiederkomme.
Er macht auf vielen Ebenen kurzen Prozess. Trennt Verbindungen. Will keine Belastung sein und keine Belastung spüren. Krebs reicht. Klare Ansagen, das ist von ihm zu erwarten. Und klare Ansage braucht er. Herumeiern niente. Schon gar in so einem Fall. Eine Ärztin, Koryphäe ihres Faches, erklärt ihm: „Wenn Sie nichts machen, liegt die Chance, dass wieder etwas kommt, bei 38 %. Mit Bestrahlung bei 10 %, mit einmaliger Chemotherapie bei 4 %. Was wollen S’?“ Passt. „Und das war super für mich!“, schmunzelt Peter. [...] Das ist ihm heute wichtig, was gestern noch unwichtig war: „Da hat sich eigentlich nichts geändert, und das finde ich auch gut so. Der größte Gewinn ist, dass sich durch die Krebserkrankung nichts verändert hat. Sie hat mich nicht schwächer oder stärker gemacht. Ich habe die Krankheit aus meinem Leben eliminiert, das ist für mich ein Triumph.

© Sabine Hauswirth

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Hans, 74

... ist ein Patron der Sonne. Sein kahler, rundlicher Kopf; diese tiefen, von seiner Freundlichkeit bereits gefestigten Backenfalten; der klare, strahlende Blick; dazu seine sonore, melodiöse Stimme. Ein Menschenfreund. Da ist auf Anhieb Vertrautheit. Wenn Hans, der seine Familie, seine Kinder und Enkelkinder über alles stellt, von seiner Frau Brigitte spricht, schwingt so viel Liebe mit, als wären die beiden nicht bereits seit Ewigkeiten verheiratet, sondern frisch aus dem Gebüsch gekommen. Und Sexualität war und ist in dem Leben der beiden nie ein Thema geworden à la: Kannst du dich erinnern, früher? An die Öllampen, den Kassettenrekorder und das Viertel-Telefon? [...]
Es war ein Prostatakrebs, der Hans vor vier Jahren zum Beifahrer werden ließ. Gelenkt von der so grandiosen medizinischen Grundversorgung dieses Landes und seinem Arzt. Ein Beweis, wie lebensrettend die jährlichen Urologen-Besuche ab dem fünfundvierzigsten Lebensjahr sind. Wartung und Pflege eben. Liebe. Der Körper ein Werkzeug. Und Hans, der Werkzeugmacher, weiß das ... [...]
Diesen Rat gibt er Männern mit der Diagnose Krebs: „Eine ärztliche Zweitmeinung einholen. Nach vorne schauen und mit anderen Betroffenen, Familie und Freunden ein offenes Gespräch führen. Mit der Familie die Diagnose mit allen möglichen neuen Herausforderungen und Änderungen in der Persönlichkeit besprechen.

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Philipp, 53

... kann alles. So wirkt er. Ihm ist allein schon optisch die Führung der UniCredit, Raiffeisen, Erste Bank eben zuzutrauen, oder gleich Bundeskanzler. Nach einer Begegnung erst recht. Er ist keiner, der sich von Fäden hölzern durch die Gegend steuern lässt, sondern er nimmt sein Leben selbst in die Hand. [...]
So also saß er eines Abends in Jogginghose ohne Unterhose auf dem Sofa, griff sich gedankenlos in den Schritt, um die Dinge dort unten ein wenig zu sortieren. Doch etwas war anders. Ein Hoden nicht mehr glatt. Die Hausärztin schickt ihn ins Krankenhaus. Eine Famulantin dort auf der Urologischen fabuliert ihn mit einem verheerenden Ultraschallbild, das keine Zweifel übrig lässt, wieder heim: Er möge zu einem niedergelassenen Urologen gehen! Willkommen in Absurdistan. Und der sonst so eigenständige Philipp gehorcht. Reflektorische Unterwürfigkeit vor der Medizin. [...] Was ihm heute wichtig ist, was gestern noch unwichtig war: „Der Kontakt mit Menschen. Ich bin zwar auch gerne allein und brauche nicht immer jemanden um mich, aber mir ist es heute wichtig, auf Menschen zuzugehen und offen zu sein.

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Christian, 65

... tritt auf, ist da. Im Hier. Breitbeinig. Wuchtig. Genau so war er auch beim Urologen, wegen eines Knotens – Hoden, da wär was – und wurde doch übersehen. Von Jänner bis August – das war 1989. Mit Antibiotika behandelt: „Ist ja nur eine Entzündung!“ Heute würde er eine zweite Meinung einholen oder eine dritte. Jeden der 86 durch seinen Körper fließenden Liter Chemogift hat er mitgeschrieben, akribisch, um den längst zwetschgengroßen Tumor in seinem Inneren zu bekämpfen. „Des Viech bring i um!“, so seine Devise. [...] Heute ist es erledigt, des Viech, ausgemerzt. „Sich dabei in Arbeit zu stürzen, Ablenkung zu suchen, damit bringst den Krebs ned um! Nein, du musst dich auf deinen Körper konzentrieren. Mit Ehrgeiz!“ Der Prostatakrebs dann 19 Jahre später? Gefreut hat er sich natürlich nicht. Aber gewusst, wie’s geht. Zack, zack, und weg. Ja, er könnt gesünder leben jetzt, dafür geht er alle zwei Monate zur Kontrolle, freiwillig. [...] Wovon er sich mutig verabschiedet hat, um mehr vom Leben zu haben: „Ich mache mir weniger Gedanken über Probleme als zuvor. Vieles erledigt sich mit der Zeit von selbst – dadurch ergibt sich auch weniger Streit. Ich versuche die latente Angst in mir, ich könnte ein drittes Mal an Krebs erkranken, loszuwerden, indem ich mich öfters und regelmäßig untersuchen lasse. Lieber einmal zu viel als zu wenig.

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Alexander, 42

... strahlt. Aus sich heraus. Etwas ist da an ihm, das einem Mittelpunkt gleicht, um den der Kreis sich legt. Einem Magneten, der auch idente Pole anzuziehen imstande ist. Vielleicht kommt kurz der Gedanke, in ihm könnte ein Magier stecken. Für Alexander wurde sein Hodenkrebs mit 35 und die später dadurch entstandene Metastase in der Schulter zur Mission. Versteckt hat er ihn anfangs, tabuisiert, verschwiegen, und sich irgendwann gefragt: „Ist nun dieser Hoden die Sollbruchstelle in meinem Leben?“ Und solch eine Frage stellt sich nur, wer nach dieser Bruchstelle bereits Ausschau hält, ein starkes Veränderungsbedürfnis in sich trägt. Er, ein erfolgreicher IT-Projektmanager und Unternehmensberater, der bereits Auszeit suchte, als Barista in einem kleinen Café. Den perfekten Espresso übergeben, es lehren, sich begegnen, sich austauschen, mitteilen. Eines Tages beginnt Alexander zu schreiben ... Mit seinem Buch „Als ich dem Tod in die Eier trat“ tritt Alexander endgültig hinter seiner Deckung hervor, findet zu sich, wird Autor. Und steht mit einem Schlag dort, wo er hingehört, wo er sein will: unter Menschen. Er ist ein Menschenfänger im positivsten Sinn und mit seiner Geschichte ein Wegweiser. [...]
Welcher Moment ihm seit seiner Diagnose erstmals Mut und Zuversicht geschenkt hat: „Mut und Zuversicht kann ich nur aus mir selbst heraus schöpfen. Ich konnte dies erstmals, als ich mich für die Hilfe geöffnet habe, die mein Freundeskreis mir entgegengebracht hat. Ebenso half mir, wie einfühlsam und respektvoll das ärztliche und pflegende Team (in den meisten Fällen) mit mir umgegangen ist. Und zu erkennen, wie viel ich meiner Familie bedeute, auch wenn wir uns oft weit voneinander distanzieren und einander selten hören oder lesen.

© Sabine Hauswirth

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Herwig, 57

... ist dankbar. Wirklich dankbar. Seinem Krebs. Sonst wäre er arbeitslos. Personalkürzungen eines großen, renommierten Unternehmens. All seine Kollegen wurden mit Sozialplan auf die Straße gesetzt. Er nicht, weil ihn genau in dieser Zeit seine Erkrankung ins Spital brachte. Prostata. Wie sein Vater, der 2013 verstarb. So etwas könnte panisch werden lassen. Herwig aber ist die Ruhe in Person. Wirkt nicht wie ein Fels in der Brandung, sondern eher Kategorie Insel. Ruhig, bedächtig seine Stimme, immer ein sanftes Lächeln im Gesicht. Wirklich immer. Einen perfekten Kapitän auf hoher See könnte er abgeben. Traumschiff. [...] Und Herwig geht auch jedes Jahr brav zur Kontrolle. Wechselt Ärzte. Seine Schilderungen dazu sind ernüchternd. Es scheinen oft Galaxien zwischen Sehen und Übersehen-Werden. 2015 bis 2020 wollte er dann von Urologen nichts mehr wissen. Fünf Jahre Hasardspiel. 2020 aber geht Herwig neuerlich. Neuer Arzt. Dessen Rat: „Nehmen S’ Geld in die Hand und machen S’ ein MRT!“ [...]
Herwig erzählt, als hätte er den Hauptpreis der Lebenstombola gezogen, unerschütterlich, so sehr er sich auch bemüht, sucht, es gelingt ihm nicht, seinem Krebs Negatives abzuringen. Gewiss, zärtlich war er nicht, aber was zählt das schon, wenn ihm dadurch 
sein Posten gerettet wurde, sein Leben, irgendwie? Wenn sich doch alles durch die Krankheit wohlwollend entwickelt und sich ihm Neues eröffnet hat, ausnahmslos. Beispielsweise die Reha. Sogar mit seiner Frau war er schon. Jedes Jahr fährt er nun. Traumschiff ohne Meer. Es gibt für ihn nichts Schöneres – außer dem Leben an sich ... [...] Diesen Rat gibt er Männern mit der Diagnose Krebs: „Erst nach dem histologischen Befund kann eine Aussage und Prognose der Erkrankung gemacht werden. Daher keinesfalls aufgrund von Vermutungen den Kopf in den Sand stecken. Offen über alles, was belastet, sprechen und das Thema nicht verschleifen lassen.

© Sabine Hauswirth

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Ernst, 62 

... der Philosoph. Leise und dadurch groß. Vertrauensselig. Wenn Güte ein Gesicht hat, dann seines. Prostatakrebs, der das Leben verändert. Nicht locker wegzustecken. Nicht für jemanden wie ihn, der sich schon zeit seines Lebens viel mit sich selbst auseinan-dergesetzt hat. Und dann ausgeliefert, einer Phase von der Diagnose bis zur Therapie, ohne das Wissen: Was passiert jetzt mit mir? Zwei Jahre, fünf Jahre, zwanzig? Aufgewachsen ist er im Waldviertel, sechs Buben, der Vater Pendler, Ausbildung zum Elektriker, dann Nachrichtentechniker, Kundendienst, völlig ausgebrannt. Neue Wege. Lebens-und Sozialberater, Medizinischer Masseur, mit 50 eine Neuanstellung im Krankenhaus Mödling und dort wahrlich „eine genial schöne Zeit verbracht“. [...]
Und für ihn? Jahrelang ein erhöhtes PSA, unzählige Arztbesuche, dann endlich sein heutiger Urologe. Der Beste. Für ihn ein Geschenk. So wie das Hier und Jetzt. Es ist nur dieses Warten, das zermürben kann, dieses sich Vorwärtshangeln, immer wieder, und auf Befunde warten. Ein Leben auch mit Angst, auf den nächsten Termin zu. Nächtens 10–15 Mal auf die Toilette. Auf seine gute Frau kann er zählen, seine Patientenverfügung ist fertig, das beruhigt. „Moment!“ Einmal verschwindet er noch aufs WC, und dann? Ist er wieder hier. Voll und ganz. Sein Leben? Es gehört nun ihm. Alle Pflicht erfüllt. Nun die Kür. Ernst. Mit dem Zen-Bogen steigt er auf den Kahlenberg, sein neues Hobby, ganz auf ein Ziel konzentriert. Die Zeit zu nützen, wie es nur geht, mit Schönem zu füllen, längst im Reinen mit sich ... [...]
Was ihm heute wichtig ist, was gestern noch unwichtig war: „In erster Linie bin ich mir selbst wichtiger geworden: Ich möchte mir eine schöne, erfüllende Zeit bereiten, Freude finden. Ich trachte danach, Dinge, die ich gerne tun würde, JETZT zu tun und zu erleben – und nicht auf irgendwann später aufzuschieben.

© Sabine Hauswirth

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Gerhard, 62

... ist eine Offenbarung. Wie ein Sir nimmt er Platz. Elegant, topfit, voll positiver Ausstrahlung, und überrascht. Denn er selbst gibt zu, überrascht gewesen zu sein über die positiven Formulierungen des Fragebogens. Den Positiven also überrascht das Positive! Warum? Weil sich die negativen Erfahrungen gehäuft haben. Darum ist er hier. Als Mutmacher. Er, ein schwuler Single-Mann, einst mit aktivem Sexualleben, und nun, seit seiner OP, tut sich gar nichts mehr. Tote Hose. Keine Erektion. Alles bisher Versuchte nütze nicht viel. Einzig der ihm über die Krebshilfe zur Seite gestellte Sexualtherapeut mache ihm nun Hoffnung. Und dieses „von hundert auf null“ ist besonders in seinem Fall ein schweres Schicksal. Die grandiose Unterstützung durch sein Umfeld, seine Freunde nach der OP streicht er zwar heraus. Die ihm entgegengebrachte Liebe. Trotzdem. „Es ist halt auch so schwierig, weil du als alter Schwuler deinen Mann stehen musst.“ [...]
Gerhard ist für seine Szene ein Geschenk, eine 
Identifikationsfigur, ohne es zu wollen ein Vorreiter, mit bedeutsamer sozialer Funktion. Ein wahrer Mutmacher, der artikulieren kann, was neue Selbstfindung fern des sexuellen Behauptungsaktes bedeuten kann, um mehr zu finden und dabei womöglich jenen ersehnten Menschen, an dessen Seite es sich tatsächlich altern lässt ... [...]
Wovon er sich mutig verabschiedet hat, um mehr von seinem Leben zu haben: „Meine männliche Sexualität zu verlieren, ist für mich als schwuler Mann am schwierigsten zu akzeptieren. Mir als (Grand-)Daddy sagt das Klischee: ‚Du bist der Kerl, der den Jüngeren zeigt, wo es langgeht.‘ Aber nun – ohne Erektion – hat kein Junger mehr Interesse an mir, da ich im wahrsten Sinne des Wortes meinen Mann nicht mehr stehen kann. Dank der vielen Gespräche mit (Sexual-)Therapeuten und durch die Beschäftigung mit all diesen Fragen tritt das Thema ‚Sex‘ aber immer mehr in den Hintergrund. Das tut mir gerade sehr gut.“

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Patrik, 50

... ist gezeichnet, mit Farbstiften. So bunt wirkt er, von innen heraus. Patrik war noch keine fünfzig, im medizinischen Sinn jedoch ein ganz ein „Braver“. Jemand, der all die Jahre zuvor zu seiner regelmäßigen Gesunden-Untersuchung spaziert. Nur wie gesagt: unter fünfzig. Also nix PSA. Und nun? Ergebnis: dezent im roten Bereich. Ein halbes Jahr später: der gutartigste unter den bösartigsten Tumoren. Trotzdem: Was Mann hat, das hat man ...
Die Prostata muss weg. Weitere sechs Monate später die OP. [...]
Und Patrik lacht, wenn er gefragt wird, wie ihn all das verändert habe oder ob er ein anderer geworden sei. „Gar nicht. Und das
ist auch das Gute daran!“ So seine Antwort.
Sich über dieselben Dinge ärgern wie zuvor – ihm darf beim Thema Krebs keiner kommen mit übersinnlicher Geschäftemacherei und tiefenpsychologischem Ursachengeschwurbel –, sich denselben Blödsinn erlauben, sich grenzenlos freuen. Denn Patrik war und Patrik ist gezeichnet, mit Farbstift. So bunt wirkt er, von innen heraus ... [...]
Diesen Rat gibt er Männern mit der Diagnose Krebs: „Es ist okay, wenn du geschockt bist. Es ist okay, wenn du losheulst. Es ist okay, Angst zu haben. Es ist okay, Hilfe zu suchen. Am besten bei der Krebshilfe in deiner Nähe. Einfach anrufen. Dort kannst du alles fragen, alles loswerden, was du meinst, nirgendwo sonst loswerden zu können.

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Kai, 42

... wirft um. Nicht nur beim Rugby. Sondern auch menschlich. Das einst verschwiegene, spielende Kind, musische Mittelschule, HTL für Kunst und Design, Studium Industrial Design, einer der Ersten, der Apps programmiert, mit 34 Job als Teamleader, Grenzen nach oben gibt es keine. Es läuft. Mit 40 Jahren plötzlich Schmerzen beim Urinieren. Rosafarbig. Die Diagnose: „Machen Sie sich keine Sorgen!“ Selbst vor der ersten OP spricht niemand dieses Wort aus. Kai fragt nach: „Heißt das, ich hab Blasenkrebs?“ Ja, das könne man sagen. Es folgen zwei OPs, zwischendurch seine Kündigung. Krank eben! Grausame Welt. Schließlich die Info: Wenn er nicht zeitlebens mit künstlichem Ausgang und Sackerl weitermachen wolle, müsse alles raus. Blase, Prostata, Lymphknoten, Samenblasen, ein Teil des Darms und diesen umfunktionieren als neue Blase. Der Eingriff massiv. Nach der OP liegt Kai abgemagert im Krankenbett und kennt seine zwei Möglichkeiten: Zeitlebens ein Kranker bleiben oder in dieser Sekunde mit dem Kampf zurück beginnen. [...]
Wovon er sich verabschiedet hat, um mehr vom Leben zu haben:
Ich habe keine Angst mehr, meine Gefühle auszudrücken. Ich sage kurzfristig Termine ab, wenn ich Schmerzen habe.“

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Peter, 50

... ist ein Glücksfall für alle Betroffenen. Und Peter hatte Glück. Verdammt viel Glück. Zuerst das Knötchen. Jo eh! Wird schon nix sein und wird schon wieder werden. Dann der immer größer werdende Hoden. Das Schweregefühl. Irgendwann eben doch zum Arzt. OP sofort. Chance 50:50. Leben oder sterben. Metastasen bereits im Bauchraum. Zu lange warten endet bei Hodenkrebs tödlich. Danach vier Chemos, noch zwei weitere hinterher, stärkere. „Mit der Klarheit darüber, was ich hab, ging es mir gar nicht mehr so schlecht! Ist ja auch immer besser zu wissen, wie man dran ist.“ [...]
Im Spital hat Peter Zeit, sucht im Internet alles zusammen, um sich danach zügig als begünstigter Behinderter einstufen zu lassen und so der Kündigung entgehen zu können. Eigenverantwortung. Erfolgreich. Kaum wieder zurück, gründet Peter 2008 den Verein VFHÖ, Forum Hodenkrebs Österreich. Für Betroffene und Angehörige (
hodentumor.at). Und hauptsächlich melden sich Letztere bei ihm. Frauen in Sorge um ihre Partner. „Gibt leider immer noch zu viele Männer, die gschamig sind!“, erklärt er. [...] Dieser Moment seit seiner Diagnose hat ihm erstmals Zuversicht geschenkt: „Das war der Moment der Diagnose. Denn endlich wusste ich, woran ich war. Und ich hatte ein Ziel: gesund werden.

© Sabine Hauswirth